Selbstwertgefühl im Alltag: Warum es kippt – und wie wir es unbewusst schwächen
Unser Selbstwertgefühl begleitet uns ständig – meist leise, im Hintergrund. Es zeigt sich weniger in großen Gedanken als in kleinen inneren Reaktionen: Fühlst du dich sicher, verbunden und klar? Oder eher angespannt, verunsichert und klein?
Manchmal startest du in den Tag mit einem Gefühl von Ruhe und Zuversicht. Doch dann genügt ein einziger Moment – ein kritischer Blick in den Spiegel, eine verpasste Nachricht, ein Kommentar im Meeting – und plötzlich schrillen innerlich die Alarmglocken. Dein System reagiert, als wäre dein Wert gerade bedroht – und die Verbindung zu deinem inneren Wert fühlt sich plötzlich brüchig an.
Diese Verbindung reagiert auf vieles: auf Stress, Erschöpfung, Konflikte oder innere Kritik. Auch deine innere Stimme im Kopf spielt eine große Rolle – ob sie dich aufbaut oder kleinmacht.
Lass uns genauer hinschauen, was sich da konkret zeigt.
Ein paar Anzeichen kennen wir alle – Enge im Körper, Nervosität, Gedankenkreisen. Doch diese Signale können auch andere Ursachen haben: Stress, Überforderung, zu wenig Schlaf oder einfach ein voller Tag. Entscheidend ist weniger das Symptom, sondern ob innerlich sofort ein Urteil über dich mitläuft: nicht nur „Das ist gerade unangenehm“, sondern „Was sagt das über mich?“ Wenn sich das Erleben schnell Wenn sich das Erleben schnell auf dich als Person bezieht („Ich bin nicht okay“, „Ich genüge nicht“), ist oft der Selbstwert-Alarm mit im Spiel.
Typisch sind zum Beispiel:
Eine hilfreiche Unterscheidungsfrage ist: Geht es gerade „nur“ um die Situation – oder geht es innerlich um meinen Wert?
Wenn es um Genügen, Dazugehören, Wichtigsein oder „okay sein“ geht, bist du meist mitten im Selbstwertgefühl-Thema.
Und genau da können wir jetzt ansetzen: Wie entsteht dieser Kippmoment – und warum kann aus einem kleinen Moment so schnell ein Tief werden?
Manchmal fühlt es sich so an, als würde ein Blick, ein Satz oder eine Funkstille dein Selbstwertgefühl direkt treffen. Als wäre da ein kurzer Draht: Auslöser rein – schlechtes Gefühl an.
In Wirklichkeit liegt dazwischen etwas Entscheidendes: dein Wahrnehmungsfilter. Er entscheidet in Sekunden, was du aus einer Situation machst – und welche Bedeutung sie für dich bekommt. Deshalb kann derselbe Auslöser bei zwei Menschen (oder bei dir an zwei verschiedenen Tagen) völlig unterschiedlich ankommen.
Ingrid Barouti (Psychosynthese-Coach, Mediatorin und Autorin) beschreibt das in ihrem Modell sehr anschaulich: Zwischen dem, was passiert, und dem, was du daraus machst, liegt ein Filter aus Erfahrung, Bewertung und Bedeutung.
Genau hier kommt auch das Selbstwertgefühl ins Spiel: Sobald dein Filter einem Moment die Bedeutung gibt „das sagt etwas über mich“, geht es nicht mehr nur um die Situation, sondern um deinen Wert. Dann wird aus einem neutralen Reiz schnell ein inneres „Bin ich gut genug?“

Wenn etwas passiert, nimmst du es nicht nur „neutral“ wahr. Dein System sortiert blitzschnell:
Was genau ist passiert? (Sinneswahrnehmung)
Woran erinnert mich das? (Erfahrung)
Was bedeutet das für mich? (Bewertung/Interpretation)
Und dann kommt der nächste Schritt: Dein Inneres fragt meist unbewusst:
Ist gerade ein Bedürfnis erfüllt – oder nicht?
Je nachdem entstehen Gefühle – und daraus folgt Verhalten. Und Verhalten ist oft eine Strategie, ein Bedürfnis zu erfüllen.
Auslöser: Du schreibst etwas – und es kommt lange keine Antwort.
Möglichkeit A (Filter 1): „Die Person ist bestimmt beschäftigt.“
Gefühl: neutral oder leicht irritiert
Verhalten: abwarten
Möglichkeit B (Filter 2): „Ich bin unwichtig. Ich hab was Falsches geschrieben.“
Gefühl: Unsicherheit, Scham, Angst
Verhalten: doppelt schreiben, erklären, innerlich zurückziehen – oder gereizt werden
Der Auslöser ist identisch. Der Unterschied entsteht im Filter – also in dem, was du daraus machst.
Dieser Filter arbeitet nicht langsam und logisch, sondern schnell und schutzorientiert. Er greift auf das zurück, was du gelernt hast – und versucht, Unsicherheit einzuordnen. Wenn dein System dabei „Gefahr für Zugehörigkeit/Genügen“ meldet, kippt das Selbstwertgefühl leichter in „Ich bin nicht okay / nicht genug / nicht wichtig.“
Das ist genau der Kippmoment: Nicht das Ereignis selbst ist so mächtig – sondern die Kombination aus Interpretation + (unerfülltem) Bedürfnis + Schutzreaktion.
Und jetzt wird’s spannend: Es gibt Dinge, die diesen Filter empfindlicher machen (z. B. Stress, Erschöpfung, Beziehungsspannung) – und es gibt Muster, mit denen wir das Ganze dann unbewusst noch verstärken.
Genau das schauen wir uns als nächstes an.
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